Timpetu im Zingertal

Etwa einen Kilometer Luftlinie von unserem Kinderladen entfernt liegt die Kleingartenanlage Zingertal. Wenn sich die Kinder des Kinderladens auf den Weg ins Zingertal machen, so ist das schon ein kleiner Ausflug, zumal sie sich nicht in die Lüfte erheben können, um gemeinsam den Garten von Jörn, ihrem Kindergärtner, zu erkunden. Vor den Kindern liegen etwa zwei Kilometer Fußweg, und unterwegs gibt es viel zu entdecken. Im Herbst locken dann noch die Weintrauben am Zingergraben, an deren Früchten sich die Kinder mit freundlicher Genehmigung der Eigentümer laben können.

So ist der Andrang groß, wenn der Erzieher und Gartenfreund in der Kinderrunde fragt, wer mit in den Garten kommen möchte. Es gibt viel zu entdecken auf der Parzelle. Schon den jüngsten Kindern sind die fleißigen Gartenhelfer bekannt, für die Jörn regelmäßig Kaffee- und Gemüseabfälle mitnimmt, helfen sie ihm doch tatkräftig die sandige Erde zu verbessern.

Ist eine Exkursion in den Garten angesagt, dann können sich bis zu acht Kinder mit auf den Weg in den Garten machen. Mehr Teilnehmer:innen wären der gemeinsamen Erkundung abträglich, handelt es sich doch um eine kleine Parzelle mit Beeten. Und so sind es meist die Vorschulkinder, die sich auf den Weg machen. Wenn davon auszugehen ist, dass alle Kinder sicher in der Nutzung ihrer Fahrräder sind, und zusätzlich ein:e Erzieherpraktikant:in den Tross mit absichert, dann ist zur großen Freude der Kinder eine Anfahrt mit den Fahrrädern möglich.

In der Anlage angekommen ist erst einmal eine kurze Einweisung vonnöten, wie man sich in Laubenpiepers Gartenparadies verhält. Flora und Fauna sollen den Entdeckerdrang möglichst unbeschadet überstehen, und nicht jedes Kind hat Gartenerfahrung. Dann steht ein kleiner Rundgang durch den Garten an, der sehr schnell den Charakter einer Verkostung annimmt, vorausgesetzt Erdbeeren, Himbeeren, Pflaumen, Äpfel oder Tomaten sind gerade reif. Ist da gerade weniger zu holen, werden Schnittlauch, Pfefferminz- oder Salatblätter, ja selbst die scharfe Kapuzinerkresse einer geschmacklichen Prüfung unterzogen und mit Kennermiene beurteilt. Die Blätter der Pfefferminze können fast den ganzen Sommer über geerntet werden. Frisch gebrühter „Gartentee mit Zitrone“ steht so für Monate auf der Getränkekarte der Kinder.

Wenn das alles zu anstrengend geworden ist, laden Hängematte und Hollywoodschaukel zu einer kleinen Verschnaufpause ein. Ein paar Kekse finden sich mit Sicherheit in der Laube, die Thermoskanne mit Tee im Rucksack. Frisch gestärkt muss noch der Pflaumenbaum bestiegen werden. Keine leichte Aufgabe. Aber mit einem anfeuernden „Hoch, Hoch, Hoch“ und gegenseitiger Unterstützung klappt das schon. Wen wundert es, wenn der Nachbar, ein paar Gärten weiter, danach fragt, ob wir einen Geburtstag gefeiert haben. Für die Kinder ein großes Vergnügen, den freundlichen Herrn etwas an der Nase herumzuführen.

Der Besuch im Garten bietet auch eine gute Gelegenheit zu schauen, wie es um den Mohn steht, der alle Jahre wieder hier ausgesät wird. Schön sind die zarten violetten Blätter, aber wenn zum Ende des Sommers ein leises Rascheln in den Kapseln zu hören ist, dann steht die Ernte an, und die Kinder machen sich mit besonderer Begeisterung daran, die trockenen Kapseln über einer Schüssel auszuklopfen. Oft begleitet von spontanen Gesängen, die gut zum rhythmischen Klopfen passen. Wenn der Mohn getrocknet ist, dann zieht schon ein paar Tage später der köstliche Duft von selbstgebackenen Mohnbrötchen durch den Kinderladen.

Aber der Weg ins Zingertal ist keine Einbahnstraße. Es gab schon mehrere Gegenbesuche mit zeitweiliger Einquartierung. So gehen wenigstens einmal im Jahr einige Regenwürmer auf die Reise. In einem abgedunkelten Regenwurmterrarium kann man für ein paar Tage ihre Arbeitsweise beobachten. Kein Wunder, dass das Lied „Hörst Du die Regenwürmer husten“ zum Repertoire des Kinderladens zählt.

Zu sehen, wie aus kleinen Schneckeneiern hauchdünne durchscheinende Schneckenkinder schlüpfen, beeindruckt alle.

Ein besonderes Erlebnis aber ist, wenn sich kleine schwarze Raupen am Silberblatt oder den Brennesseln finden. Auch sie gehen ungefragt auf Reisen und bekommen im Kinderladen Kost und Logis, wobei die richtige Ernährung der kleinen Raupen von ganz besonderer Bedeutung ist. Die Kinder wissen, dass ihre Gäste jetzt ganz besonders auf nahrhafte Kost angewiesen sind. Aber bitte nicht irgendein Grünzeug, sondern wie gehabt, entweder pieksige Brennesselblätter oder die etwas harmloseren Blätter des Silberblattes. Hat man sich darum mit Ausdauer und Geduld gekümmert, geschieht das erste Wunder im mit Tüll abgedeckten Schauglas: Nach und nach verpuppen sich die Raupen und hängen sich an kleine Birkenzweige, die eigens zu diesem Zweck in das Terrarium gelegt wurden.

Noch einmal wird die Geduld der kleinen und großen Beobachter:innen auf die Probe gestellt. Zwei bis drei Wochen kann es dauern, dann ist die Aufregung groß. Im Schmetterlingsglas klettern die ersten ausgewachsenen Tagpfauenaugen herum, und nach ein paar Tagen schon sind ausnahmslos alle Puppen nur noch leere Hüllen und an ihrer statt ist ein gutes Dutzend wunderschöner Schmetterlinge zu beschauen.

Mit gesammelten Blättern braucht man ihnen als Futter nun nicht mehr zu kommen. Jetzt gibt es den köstlichen Saft frischer Orangenstückchen. Aber nur so lange bis alle Betrachter:innen Gelegenheit zu genauer Betrachtung hatten. Dann ist klar, länger würden sich diese zarten Tiere bei uns nicht wohlfühlen, und so wird das große Glas auf den Hof gestellt und vorsichtig das Tülldach heruntergezogen. Nach und nach flattert ein Tier nach dem anderen hinaus in den warmen Sonnentag, begleitet von den guten Wünschen der Kinder für eine gute Reise.